Dunkle Materie?

Das Problem mit der Dunklen Materie ist, dass es seit Jahrzehnten bei ihrer Vorhersage blieb und ihr Nachweis bisher nicht gelungen ist, obwohl viele Forscher angestrengt danach suchen, vor allem mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern und hochsensiblen Detektoren.

Wieso wurde diese unsichtbare Materie überhaupt postuliert?

In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zeigten Beobachtungen der Astronomen, dass Galaxien in ihren Außenregionen schneller rotieren, als es aufgrund der sichtbaren Materie möglich wäre. Dunkle Materie soll jene „fehlende“ ominöse Substanz sein, die das Universum wie ein feiner, aber unsichtbarer Nebel füllt, und die unter anderem die beobachtete Rotation von Galaxien erklärt. „Dunkel“ heißt sie, weil diese Materie kein Licht und keine Strahlung abgibt. Und existieren muss sie, so zumindest die Annahme, weil ansonsten die rotierenden Galaxien auseinanderbrechen würden, gäbe es in ihrem Inneren nicht zusätzliche Materie, die das Ganze vermittels ihrer Masse zusammenhält. Das Universum soll Unmengen Dunkler Materie (DM) enthalten – theoretisch, denn bisher sind alle Nachweisversuche gescheitert. Existiert sie etwa gar nicht? Die vorhergesagte Dunkle Materie, die nur durch Schwerkraftwirkung auf den Rest des Universums einwirkt, soll etwa 23 % des Gesamtgehaltes ausmachen (sichtbare Materie nur 4 %). Den großen Rest auf 100 % nennt man Dunkle Energie, die noch mysteriöser ist.

Neutrinos eine winzige Masse haben, obwohl sie das laut Standardmodell nicht dürften.

Welche möglichen Kandidaten gab es bisher für die DM?

In der Physik werden verschiedene Kandidaten für die Dunkle Materie diskutiert. Ein direkter Nachweis im Labor ist bislang nicht geglückt.

Kaltes Gas

Da heiße Gase immer Strahlung emittieren, bleibt als erste Möglichkeit für Dunkle Materie nur kaltes Gas übrig. Gegen diese Hypothese spricht die Tatsache, dass sich kaltes Gas (unter bestimmten Umständen) durchaus erwärmen kann und selbst riesige Gasmengen nicht die benötigte Masse aufbringen könnten.

Kalte Staubwolken

Eine ähnliche Lösung stellt die mögliche Existenz kalter Staubwolken dar, die auf Grund ihrer niedrigen Temperatur nicht strahlen und somit unsichtbar wären. Allerdings würden sie das Licht von Sternen reemittieren und somit im Infrarotbereich sichtbar sein. Außerdem wären so große Mengen an Staub nötig, so dass sie die Entstehung der Sterne maßgeblich beeinflusst hätten.

MACHOs

Ernstzunehmende Kandidaten wären Braune Zwerge, die zu den MACHOs (Massive astrophysical compact halo objects) gezählt werden. Es handelt sich dabei um Himmelskörper, in denen der Druck so gering ist, dass keine Kernfusion stattfinden kann, sodass sie nicht sichtbar sind.

Auch übriggebliebene Schwarze Löcher aus den Anfangszeiten des Universums wurden als Erklärungsversuche für die fehlende Masse genannt. So hat der Nasa-Wissenschaftler Alexander Kashlinsky vom Goddard Space Flight Center in Greenbelt (Maryland) die These aufgestellt, dass schwarze Löcher viel häufiger sind als bisher angenommen und es in den Galaxien nur so von kleineren schwarzen Löchern wimmelt. Somit würde die Dunkle Materie von Schwarzen Löchern gebildet.

Heiße Dunkle Materie (HDM)

Neutrinos galten lange Zeit als naheliegende Kandidaten für heiße Dunkle Materie, da ihre Existenz bereits gesichert ist, im Gegensatz zu anderen Kandidaten für Dunkle Materie. Allerdings ist die maximale Masse der Neutrinos nach neueren Erkenntnissen nicht ausreichend, um das Phänomen zu erklären.

Kalte Dunkle Materie (CDM)

Diese Variante umfasst noch unbeobachtete Elementarteilchen, die nur der Gravitation und der schwachen Wechselwirkung unterliegen.

WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles, schwach wechselwirkende massive Teilchen)

Ein WIMP hätte eine Masse wie etwa zwei Goldatome und könnte wie ein Neutrino ganze Planeten praktisch ungestört durchfliegen. Als sprachlicher Gegensatz zu den Machos wurden die Wimps (Schwächlinge) eingeführt. Bisher nicht gefunden.

SUSY

Kandidaten ergeben sich auch aus der Theorie der Supersymmetrie, die die Anzahl der Elementarteilchen gegenüber dem Standardmodell verdoppelt. Die hypothetischen Teilchen wären meist instabil und zerfallen in das leichteste unter ihnen (Neutralino?).

Axionen

Ein weiterer Kandidat, das Axion, ist ein hoch hypothetisches Elementarteilchen zur Erklärung der in der Quantenchromodynamik problematischen elektrischen Neutralität des Neutrons.

Alternativen zu Dunkler Materie

Alle obigen Erklärungsansätze sowie die Existenz der Dunklen Materie selbst setzen implizit voraus, dass die Gravitation dem Newtonschen Gravitationsgesetz bzw. der Allgemeinen Relativitätstheorie folgt. Einige Theoretiker suchen bereits nach Auswegen aus der Sackgasse, in die man sich offenkundig manövriert hat: Wenn man keine Antwort auf eine Frage bekommt – vielleicht stimmt etwas mit der Frage nicht? Es gibt daher auch Überlegungen, die Beobachtungen anstatt durch die Einführung einer zusätzlichen Materiekomponente durch eine Modifikation des Gravitationsgesetzes zu erklären.

Namhafte Astrophysiker wie Jacob Bekenstein und John Moffat haben die umstrittene MOND-Hypothese (Modifizierte Newtonsche Dynamik) weiterentwickelt, nach der die Äquivalenz von träger und schwerer Masse bei extrem kleinen Beschleunigungen nicht mehr gilt.

Die TeVeS (Tensor-Vektor-Skalar-Gravitationstheorie) wurde 2004 erstmals von Jacob Bekenstein formuliert. Der Hauptunterschied zur allgemeinen Relativitätstheorie liegt in der Formulierung der Abhängigkeit der Gravitationsstärke von der Entfernung zur Masse, welche die Gravitation verursacht. Diese wird bei der TeVeS mittels eines Skalar-, eines Tensor- und eines Vektorfeldes definiert, während die allgemeine Relativitätstheorie die Raumgeometrie mittels eines einzigen Tensorfeldes darstellt.

Die Skalar-Tensor-Vektor-Gravitationstheorie (STVG) wurde 2014 von John Moffat entwickelt, nicht zu verwechseln mit der TeVeS. Die STVG wurde erfolgreich für die Berechnung der Rotation von Galaxien, der Masseverteilung von Galaxienhaufen und des Gravitationslinseneffekts des Bullet-Cluster herangezogen, ohne die Notwendigkeit, Dunkle Materie zu postulieren. Die Theorie bietet darüber hinaus eine Erklärung für den Ursprung des Trägheitsprinzips.

Weiters denken manche Physiker ernsthaft über die Möglichkeit nach, dass die Teilchen, die sie suchen, zu einem „versteckten Sektor“ gehören. Damit ist eine Familie von Teilchen (schwere Higgs?) gemeint, die zwar untereinander in Wechselwirkung stehen, aber unempfindlich sind gegen den Einfluss der drei Kräfte des Standardmodells, also der starken, der elektromagnetischen und der schwachen Wechselwirkung. Sie interagieren also nicht direkt mit gewöhnlicher Materie, deshalb sind sie nur schwer nachzuweisen.

Erik Verlindes „Infoversum“

Der Physiker von der Universität Amsterdam hat letztes Jahr eine Neuversion der Gravitationsgesetze von Isaac Newton und Albert Einstein vorgelegt, die das Problem der Dunklen Materie lösen würden. Oder vielleicht sollte man besser sagen: auflösen würden, denn in seiner Theorie existiert die Dunkle Materie gar nicht. In seiner Theorie gibt es zwar auch Teilchen und Felder, aber über allem thront ein noch mächtigeres Prinzip – und das lautet: Das Grundgerüst des Universums besteht aus Information. Die Information erzeugt die Phänomene der Materie, nicht etwa umgekehrt.

Neues Raumkonzept?

André Maeder, ein Schweizer Astrophysiker, hat kürzlich eine alternative Beschreibung des Universums vorgestellt, ein Modell in dem der Leere Raum eine Eigenschaft besitzt, die Physiker als „Skaleninvarianz“ bezeichnen. Das heißt nichts anderes, als dass sich der Raum immer gleich verhält, egal, ob man ihn dehnt oder kontrahiert“. Wie Maeder vorrechnet, lässt sich damit die „regelwidrige“ Bewegung von Galaxien und Galaxienhaufen erklären. Auch die Rotverschiebung fernen Sternenlichts – ein bekanntes Phänomen – kann man auf diese Weise nachvollziehen. Und vor allem: In diesem Bild verschwinden sowohl die Dunkle Materie als auch die Dunkle Energie!

Egal, welche Alternative zur „Dunklen Materie“ sich durchsetzen wird, so können wir heute schon fast davon ausgehen, dass diese 50 Jahre lang postulierte Materieform wohl ein ähnlicher Irrweg war, wie die Ätherhypothese zur Erklärung der Lichtfortpflanzung, die erst am Ende des 19. Jahrhunderts durch den Michelson-Morley-Versuch endgültig widerlegt wurde.

Autor: Tassilo Halbritter

Quellen

  • Wikipedia u.a.
  • André Maeder:
    Dynamical Effects of the Scale Invariance of the Empty Space: The Fall of Dark Matter? arXiv:1710.11425v1
  • First test of Verlinde’s theory of Emergent Gravity using Weak Gravitational Lensing measurements arXiv:1612.03034v2http://www.spektrum.de/news/eine-spur-verschwindet/1550834