Kosmologie – Unser Ende im Feuerball?

Missverstandene Aussagen von Theoretikern führten zu Zeitungsmeldungen über die Instabilität des Higgs-Feldes und damit zum möglichen Weltende durch Vakuumzerfall.

Anlässlich einer Tagung im Herbst 2014 in Teneriffa erschien ein Sammelband mit den Vorträgen, darunter auch ein Beitrag von Stephen Hawking in dem es (übersetzt) heißt:

„Das Higgs-Potential hat die beunruhigende Eigenschaft, bei Energien über 100 Milliarden Gigaelektronenvolt möglicherweise metastabil zu werden. Das könnte bedeuten, dass das Universum einen katastrophalen Vakuumzerfall erleben könnte, wobei eine Blase des echten Vakuums sich mit Lichtgeschwindigkeit ausdehnt. Das könnte jederzeit geschehen und wir würden es nicht kommen sehen.“

Soweit die Originalnachricht; es ist wohl klar, was die Zeitungen daraus machten (s.u. FOCUS)? Obwohl kein Beschleuniger derzeit auch nur annähernd genügend hohe Energien aufbringt, um das Higgs-Feld metastabil werden zu lassen, verrannten sich viele Zeitungen in Endzeitfantasien, weil sie Higgs-Potential mit Higgs-Boson verwechselten. Das Standardmodell der Teilchenphysik fordert ein sogenanntes Higgs-Feld (nach dem Physiker Peter Higgs), das eigentlich nur mathematisch sinnvoll beschrieben werden kann. Es erklärt sehr gut die beobachteten Phänomene der Teilchenphysik, denn dieses Feld durchzieht nach obiger Theorie das gesamte Universum.

Das Higgs-Feld kann Energie aufnehmen und dann quasi ins Schwingen geraten. Die energieärmste dieser Schwingungen manifestiert sich im 2012 bei CERN beobachteten Higgs-Boson. Verglichen mit dem Proton ist es aber immer noch sehr energiereich (ca. 126 GeV; Proton 0,94 GeV). Das Higgs-Feld hat ein Potenzial, eine Art innewohnende Energie. Wenn man das Higgs-Feld mit sehr viel Energie auflädt, könnte es tatsächlich in einen anderen Grundzustand springen und damit den beschriebenen Vakuumzerfall auslösen. Auf Grund der derzeit angenommenen Masse des Higgs-Bosons könnte das Higgs-Feld metastabil sein. Doch nicht das Teilchen ist metastabil, seine Eigenschaften deuten lediglich auf eine mögliche Metastabilität des Higgs-Feldes.

In jedem Fall wäre es denkbar, dass die aktuelle Vakuumenergie nicht der niedrigsten möglichen Energie entspricht, sondern nur ein sogenanntes lokales Minimum darstellt. Wie käme man aus diesem Minimum heraus? Man müsste sehr viel Energie zuführen, um das Vakuum über die Potenzial-Wände des lokalen Minimums zu bringen. Dann würde es vielleicht in den echten Grundstand hinuntergleiten. Wie gesagt: das muss nicht so sein, aber es könnte sein. In diesem Fall wäre unser Vakuum ein falsches Vakuum und das Vakuum im Grundzustand das von Hawking erwähnte echte Vakuum. Den Übergang kann man Vakuumzerfall nennen. Dabei würde die Energiedifferenz zwischen den beiden Zuständen frei. Sollte dieser Vorgang irgendwo in Gang kommen, könnte genug Energie frei werden, um auch den umgebenden Raum zum Vakuumzerfall anzuregen. Dann würde sich der Zerfall mit Lichtgeschwindigkeit kugelförmig ausbreiten. Weil aber nichts schneller reisen kann als das Licht, würden wir ohne Vorwarnung von dem explodierenden Feuerball verschluckt!

Das Problem wird auch in einem Artikel in Spektrum der Wissenschaft (Sept. 2014) von Joseph Lykken und Maria Spiropulu angeschnitten. Auf Seite 43 heißt es: „Ohne Supersymmetrie hängt die Stabilität des Vakuums empfindlich von der Higgs-Masse ab: In einem gewissen Massebereich stabilisiert das Higgs das Universum, während ein allzu leichtes oder allzu schweres das drohende Weltende bedeutet. Bemerkenswerterweise liegt die gemessene Higgs-Masse genau an der Kippe, was für ein langlebiges, aber letztlich instabiles Vakuum spricht.“

Es sieht also danach aus, dass es einen Mechanismus gibt, der das Vakuum stabilisiert, aber die Forscher haben ihn noch nicht gefunden oder verstanden.

Das Universum könnte schon heute einem Emmentaler-Käse gleichen, mit großen Blasen, in denen der Übergang vom falschen Vakuum zum echten Vakuum schon stattgefunden hat, denn der größte Teil des Universums entfernt sich bereits mit Überlichtgeschwindigkeit von uns weg, ab einer bestimmten Distanz überschreitet nämlich die Expansionsgeschwindigkeit sogar die Lichtgeschwindigkeit. Nichts was dort passiert – auch nicht der Übergang in ein echtes Vakuum – wird uns je erreichen. Selbst wenn Teile des sichtbaren Universums bereits in ein echtes Vakuum übergegangen wären, würden wir dies wohl nicht mitbekommen.

All das gilt aber nur, wenn der Teilchenzoo bereits vollständig erforscht ist und keine Überraschungen mehr zu erwarten sind. So weit sind wir aber noch nicht. Beispielsweise könnte die Dunkle Materie aus bisher unbekannten Teilchen bestehen. Nicht umsonst hat Hawking seinen Absatz mit sehr vielen Konjunktiven unterlegt, denn tatsächlich wissen wir nicht, ob das Higgs-Feld metastabil oder stabil ist. Jede neue Entdeckung erweitert unser Wissen, und gerade zur Zeit ändert sich sehr viel.

Das ganze Konzept ist eben rein spekulativ. Es ist nicht erwiesen, dass wir überhaupt in einem Universum mit „falschem Vakuum“ leben, und dass eine Tasche von „echtem Vakuum“ sich tatsächlich ausbreitet. Bisher ist auch völlig unklar, wie viel Energie eigentlich im Vakuum steckt.

Resümee: Hawking hat über das Universum spekuliert, und viele Zeitungen haben seinen kurzen Text gründlich missverstanden. Davon abgesehen kommt so ein Vakuumzerfall im Schnitt ja eh nur alle 10 hoch 100 Jahre vor!

Quellen: